Traditionen sind Mythos

Von Irmgard Kirchenr · · 1999/11

Der Wiener Afrikanist Walter Schicho arbeitet an einem ehrgeizigen Buchprojekt. SÜDWIND-Redakteurin Irmgard Kirchner sprach mit ihm über Afrikastudien in Zeiten ausländerfeindlichen Klimas in Österreich.

Walter Schicho, ist seit 1972 am Institut für Afrikanistik der Universität Wien tätig. Forschungsaufenthalte und Lehrtätigkeiten führten ihn nach Togo, Zaire/Kongo, Tansania und Burkina Faso. Er ist Vorsitzender der Senatskommission Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien.

Derzeit arbeitet Schicho an einem dreibändigen „Handbuch Afrika“, das Hintergrundinformationen über die Geschichte und aktuelle politische Situation der 57 afrikanischen Nationalstaaten bietet. Ein neues Grundlagenwerk für alle Afrika-InteressentInnen ist im Entstehen. Der erste Band führt seine Leserschaft nach Zentralafrika, in die Staaten im Indischen Ozean und in den Süden des Kontinents. Band 2 und 3 werden im Jahr 2000 bzw. 2001 herauskommen.

SÜDWIND: Voraussichtlich im Jahr 2001 ist Ihr Werk vollständig. Wie lang kann es denn aktuell sein?

Schicho: Im Kern etwa zehn Jahre. Die letzte Seite und die erste Seite der Länderkapitel sind natürlich nach drei Jahren bereits überholt. Aber die erste Seite, das Datenblatt, ist im Internet in einer laufend aktuellen Version abrufbar.

SÜDWIND: In welchen wissenschaftlichen Bereich ordnen Sie das Handbuch ein?

Es ist stärker dem Bereich Zeitgeschichte zuzuordnen. Ich fühle mich eher als Historiker denn als Soziologe, Ethnologe oder Politologe. Es geht um die Frage nach den Prozessen, die dazu geführt haben, daß es heute in Afrika so ist wie es ist.

SÜDWIND: Wer soll das „Handbuch Afrika“ verwenden?

Es ist für jene Menschengruppe interessant, die sich einen schnellen Überblick verschaffen will. Das Werk wendet sich also eher an Multiplikatoren, wie Lehrer, Journalisten und Studenten. Für Spezialisten ist es höchstens nebenbei interessant.

SÜDWIND: Was ist die wichtigste Disziplin für das Verständnis Afrikas heute? Die Geschichte, Ökonomie, Politologie, Ethnologie oder die Linguistik?

Ich glaube, daß man die Frage so nicht stellen kann. Sobald ich anfange, eine Disziplin herauszuheben, verliere ich die anderen aus dem Auge. In Wien haben wir von Anfang an das Konzept des interdisziplinären Arbeitens verfolgt. Es bietet uns die einzige Chance, zeitgeschichtliche Phänomene überhaupt analysieren zu können.

SÜDWIND: Welche Rolle spielt in der Zeitgeschichte Afrikas die voreuropäische Geschichte? Finden die traditionellen Strukturen, die nicht von der nationalstaatlichen Macht erfaßt werden, einen Niederschlag?

Einen sehr geringen. Im Handbuch Afrika kommt die vorkoloniale Geschichte als eigener Input weniger vor als die Geschichte der europäischen Kolonialmächte. Jede Politik verwendet gewisse Geschichten, Bilder und Versatzstücke in ihrem eigenen Kontext. Wenn ich dann behaupte „das ist traditionell“, dann bin ich in meiner Analyse völlig gescheitert.

SÜDWIND: Es stört Sie also der Begriff „traditionell?“

Der Begriff stört mich nicht. Mit den traditionellen politischen Strukturen beschäftige ich mich aber nur insofern, daß ich mich mit dem Gebrauch von Mythen auseinandersetze. Das Amt des Kabaka in Uganda zum Beispiel ist ein Mythos. Elemente aus alten Traditionen wurden zwar übernommen, in seiner Gesamtheit aber ist es trotzdem nicht mehr traditionell. Swaziland ist dafür ein typischer Fall. Oberflächlich betrachtet glaubt man, die Bevölkerung sei in der Steinzeit verhaftet geblieben. Das stimmt jedoch überhaupt nicht, aber die herrschende Elite hat festgestellt, daß sich traditionelle Werte sehr gut verwenden lassen, um aktuelle Macht zu erhalten. Der König in Swasiland würde sie nicht verwenden, wenn sie ihm nicht politische Macht bringen.

SÜDWIND: Sehen Sie einen sozialen Auftrag, in Österreich das Afrika-Bild mitzuprägen?

Ich habe auf alle Fälle eine gesellschaftliche Verantwortung. Ich bin meinem Dienstgeber, also dem österreichischen Steuerzahler, verantwortlich. Einen emotionalen Sendungsauftrag habe ich nicht. Ich glaube, daß sich Emotionen negativ auf das Produkt auswirken.

SÜDWIND: Was ist die persönliche Motivation für Ihre Arbeit?

Das Beste, was ich machen kann, ist jungen Kollegen die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten. Wenn ich in Pension gehe und sagen kann, ich habe fünf Absolventen gehabt, die wirklich gut sind, die wesentlich besser sind als ich, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt.

SÜDWIND: Wie fühlen Sie sich momentan angesichts des ausländerfeindlichen Klimas in Österreich?

Schlecht. Haiders FPÖ hat keine Hemmungen, Vorurteile zu verbreiten. Und wir reagieren immer alle erst im nachhinein! Es ist sinnlos, gegen ein Vorurteil, gegen ein Klischee mit Fakten anzukämpfen.

SÜDWIND: Wo könnte man für eine Veränderung ansetzen?

Wir müßten dem „Ausländer raus“-Slogan ein genauso wirksames Gegenüber bieten. Stattdessen haben wir Abgeordnete, die das Argument vom „vollen Boot“ in die Öffentlichkeit bringen. Es wäre also unsere Aufgabe, durch Beratung und Sensibilisierung von Politikern, eine Situation zu schaffen, die ein positives Klima ermöglicht. Das Schaffen von positiven Vorurteilen braucht aber leider viel länger. Für mich ist evident, daß je mehr sichtbar die anderen bei uns werden, desto weniger werden sie andere sein.

SÜDWIND: Wir danken für das Gespräch.

Walter Schicho: Handbuch Afrika. Band 1. Zentralafrika, Südliches Afrika und die Staaten im Indischen Ozean. Brandes & Apsel / Südwind. 1. Auflage 1999.

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